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Sogar McKinsey verspottet die Blockchain "Milliarden versenkt" - Blockchain kommt unters Rasiermesser

Von Arvid Kaiser
Server in einem Datenzentrum

Server in einem Datenzentrum

Foto: REUTERS

"Noch ist nicht alles verloren." Was an die Hymne der lange geplagten polnischen Nation erinnert, ist auf die noch vor kurzem gefeierte Zukunftstechnik Blockchain gemünzt. Zu viel mehr Zuversicht können sich drei Partner der Beratungsfirma McKinsey in einer aktuellen Studie  nicht mehr durchringen - obwohl die Berater selbst gewissen Anteil an dem abgeflauten Hype haben:

Vor drei Jahren verkündete McKinsey, die durch Bitcoin bekannt gewordene dezentrale Datentechnik habe "das Potenzial, die Kapitalmärkte dramatisch umzugestalten, mit erheblichen Auswirkungen auf Geschäftsmodelle, dem Abbau von Risiken und Ersparnissen an Kosten und Kapital". Noch Mitte 2018 hieß es aus dem Haus, jenseits des Hypes habe Blockchain "strategischen Wert für Unternehmen" und schaffe langfristig neue Geschäftsmodelle.

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Wer diesem Rat folgte, hat jedoch "Milliarden von Dollar versenkt", während "kaum Anwendungsfälle technologischen, kommerziellen und strategischen Sinn ergaben oder im großen Stil realisiert werden konnten" - findet McKinsey heute.

Obwohl allein die Finanzbranche rund 1,7 Milliarden Dollar pro Jahr für Blockchain-Experimente ausgebe und beispielsweise IBM mehr als 200 Millionen Dollar in eine Blockchain-basierte Datenplattform für das Internet der Dinge investiert habe, hänge die Technologie anscheinend am Ende von Stufe 1 des Beraterschemas (Pionierphase) fest; der Sprung zur Wachstumsphase gelinge nicht.

"Angesichts der investierten Zeit und Geld wurde wenig Substanzielles erreicht", "anfänglicher Enthusiasmus wird von einem wachsenden Gefühl des Misserfolgs aufgezehrt", "die Nachweise für einen praktischen, skalierbaren Nutzen der Blockchain sind dünn gesät", die Technologie sei "instabil, teuer und komplex", eine "schlecht verstandene (und etwas unpraktische) Lösung auf der Suche nach einem Problem" - das Papier ist gespickt mit solchen Formulierungen, die nur knapp diplomatisch vor einem endgültigen Abgesang halt machen.

Aus Sicht ökonomischer Theorie sei der stotternde Fortschritt nicht völlig überraschend. Schließlich sei die Blockchain als Datenspeicher ineffektiv, weil jeder Knoten im Netz jede Transaktion verarbeiten und das gesamte Archiv aller Transaktionen speichern muss. So begrenzt die Kapazität jedes einzelnen Knotens die mögliche Anzahl an Transaktionen. Selbst die als größter Vorteil gepriesene Sicherheit durch die Automatisierung von Vertrauen sei zweifelhaft.

Sinnvolle Anwendungen könne man sich trotzdem vorstellen - beispielsweise im Zahlungsverkehr. Allerdings müssten diese Anwendungen auch unter "Ockhams Rasiermesser" bestehen, nach der These des mittelalterlichen Gelehrten William von Ockham: Die einfachste Lösung ist in der Regel die beste, alles Überflüssige muss scheitern. An diesem Test komme die Blockchain aus Sicht der Praktiker nicht vorbei, weil es offensichtliche Vorteile habe, statt eines Systemwechsels die bestehenden Systeme zu verbessern.


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Einwände zur Praktikabilität hatten die McKinsey-Berater auch in ihren früheren, enthusiastisch präsentierten Berichten. Erfolg setze beispielsweise Kooperation konkurrierender Unternehmen voraus, weil keines allein Investitionen leisten wolle, die das eigene Geschäftsmodell bedrohen und zugleich von allen anderen genutzt werden könnten. Doch selbst Großkonsortien wie R3 mit zeitweise mehr als hundert Großbanken kamen dem Ziel nicht näher.

In der Finanzbranche, die zuerst auf den Blockchain-Zug aufsprang und am meisten Erfahrung gesammelt hat, ist das Thema laut McKinsey weithin durch. Sinnvoll einsetzen ließe sich die Technik trotzdem noch - in ausgewählten Nischen wie einem Container-Register in der Schifffahrt. Vielleicht: "Wir erwarten weitere Gaben an Realismus, wenn die Experimente fortschreiten."