Zum Inhalt springen
Daniel André Langer

Von Ferdinand Piëchs Traum zum Sanierungsfall Das Drama um Bentley und was zu tun ist

Daniel André Langer
Von Daniel André Langer
Der Bentley EXP 100 GT bei der Präsentation im Juli 2019

Der Bentley EXP 100 GT bei der Präsentation im Juli 2019

Foto: Bentley

Die schönsten Geburtstage sind die, die man unbeschwert feiern kann. Das hätte sich sicher auch Bentleys neuer CEO Adrian Hallmark für den 100. Geburtstag der noblen britischen Automarke gewünscht, die der jüngst verstorbene Ferdinand Piëch einst nach erbittertem Streit mit BMW  ins VW-Imperium holte. Zum Jubiläum gab es die Vorstellung der Studie EXP 100 GT. Kein Bentley war jemals größer, luxuriöser und scheinbar moderner als die elektrische und selbstfahrende Studie.

Also alles bestens? Mitnichten. Bentley befindet sich im freien Fall. Und Hallmark, der seit gut einem Jahr das Geschäft verantwortet, hat von seinen Vorgängern statt eines glänzenden Diamanten einen drastischen Sanierungsfall übernommen.

Daniel André Langer

Daniel Langer ist CEO der Markenberatung Équité. Der gefragte Experte für die Luxusbranche und Luxusstrategie unterrichtet an der Pepperdine University in Malibu und arbeitet unter anderem für Ferrari. Zudem hat er mehrere Bücher über Luxusmarketing geschrieben, hält Vorträge und gibt Managementseminare zu Markenführung in sich stark verändernden Märkten. equitebrands.com 

Visionen allein reichen nicht

Während Sondereditionen zu Jubiläen keine Seltenheit sind, ist Bentleys EXP 100 GT eine Vision - mehr nicht. Sie soll den Bentley-Käufern zeigen, wie man sich britischen Luxus im Jahr 2035 vorstellt. Das Problem: Das Auto ist eine Fantasie, kein Kunde wird es jemals fahren und sie kann nicht über die Realität hinwegtäuschen. Und die ist dramatisch.

Die Neuauflage des für Bentley wichtigsten Autos, des Continental GT, verzögerte sich um fast zwei Jahre. Der Grund ist für die Konzernmutter Volkswagen nach dem Emissionsskandal besonders peinlich: Bentleys Motoren schafften weder akzeptable Verbrauchswerte noch die Emissionsnormen in den USA, Europa und China. Ein immenser Imageschaden, die Glaubwürdigkeit als kompetente Luxusmarke dahin. Ein weiterer Grund für die Verspätung sind laut Bloomberg Fehler in der Produktionsplanung, die dazu geführt hätten, dass das 200.000 Euro teure Auto ein Verlustbringer geworden wäre. Daher gab es zum Geburtstag nur Visionen statt Wirklichkeit.

Während die Schwestermarken VW, Audi , und Porsche  mit voller Kraft in die Elektromobilität steuern, ist laut Hallmark mit einem elektrischen Bentley nicht vor 2025 zu rechnen. Das zeigt, wie viel wertvolle Zeit vertan wurde. Als Gründe nennt Bentley, dass man auf eine bessere Batterietechnologie warte. Die Frage ist, ob die Kunden warten werden. Hier bin ich skeptisch.

Die Konkurrenz fährt davon

Teslas Luxus-SUV Model X erreicht schon heute auskömmliche Reichweiten und wird seit fast zehn Jahren am Markt sein, wenn Bentley irgendwann nachzieht. Der Verdacht kommt auf, dass der wahre Grund für die Verzögerung nicht das Forschen nach neuen Technologien ist, sondern dass es schlicht an Kompetenz auf diesem Gebiet fehlt. Mit anderen Worten: Während Tesla  zur Standardmarke unter den jungen Tech-Millionären im Silicon Valley wird, kümmern sich die VW-Ingenieure erstmal um den E-Golf. Bentley? Kann warten. Doch das dürfte eine Fehleinschätzung sein.

Fotostrecke

Die Geländegänger der Edelmarken: Mercedes setzt auf Maybach-SUV, Aston Martin fährt den DBX vor

Foto: REUTERS

Das Desaster der Marke reiht sich in eine Reihe früherer Modellfehler ein. Vor Kurzem hatte ich die Gelegenheit, in einem Bentley Mulsanne mitzufahren. Ich freute mich auf meine erste Fahrt im "großen Bentley", doch mein persönliche Erfahrung war enttäuschend. Der ganz in schwarz gehaltene Innenraum erinnerte an einen gut ausgestatteten Passat, nichts an dem Wagen versprühte die Aura des Besonderen. Die Schalter wirkten wie aus der Großserie. Und auch Bentleys SUV Bentayga sieht dem Audi Q7 zum Verwechseln ähnlich, nach neuen Technologien sucht man dort vergebens. Doch Marken, die verwechselbar werden und technologisch nur zweitklassig sind, verlieren jeglichen Luxus.

Wofür steht Bentley?

Nicht nur das Produkt ist austauschbar geworden, sondern aus meiner Sicht auch die Marke: Wofür steht Bentley? Was ist die Kernpositionierung, die sich von jeder anderen Marke unterscheidet? Was ist das Besondere am Markenerlebnis? Ich habe in den vergangenen Monaten mehrere Bentley-Händler in aller Welt besucht. Trauriges Fazit: Nichts am Markenerlebnis ist einzigartig. Ein Kardinalfehler im Luxusbereich.

Der Verlust von 288 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2018 und der Absatzrückgang um 16 Prozent seit 2016 spiegel diese Einschätzung wieder, was angesichts des stark wachsenden Luxussegments eine wirtschaftliche Katastrophe ist. Zehn Prozent der Mitarbeiter wurden entlassen, um die Verluste nicht noch größer werden zu lassen. Ein Armutszeugnis für eine Luxusmarke, vor allem wenn man wie Bentley eine so einzigartige Geschichte hat.

Der Luxusmarkt hat sich dramatisch verändert, nicht nur im Automobilbereich. Ich habe vor kurzem an einem Projekt zu den Anforderungen an Luxusautos in der Zukunft gearbeitet. Was ganz klar wurde: Junge Luxuskonsumenten haben ganz andere Erwartungen als ältere Generationen, egal ob sie in Düsseldorf, Paris, Moskau oder Shanghai leben. Ihr Leben ist digital und sie erwarten von ihrem Auto, Teil der ihrer digitalen Infrastruktur zu sein. Nicht erst 2035, sondern heute. Visionen sind irrelevant, was man heute kaufen kann, entscheidet. Viele Marken erliegen der Illusion, dass große Displays, ein nobles Interieur und demonstrativ zur Schau gestellte Nachhaltigkeit allein den Zukunftscode knacken könnten. Eine fatale Annahme.

Wie Bentley noch zu retten ist

Die Zukunft gehört den Marken, die es schaffen, den Fahrer, sein soziales Umfeld und das Auto in einer sinnvollen Art durch digitale Technologien zu verbinden. Dazu müssen Daten durch fortgeschrittene Analytik und künstliche Intelligenz so ausgewertet und verknüpft werden, dass die Kunden ein unvergleichliches Marken-, Produkt- und Serviceerlebnis, besten Komfort und unvergleichliche Sicherheit bekommen. Teures Leder und viel Holz werden im Luxussegment als gegeben erwartet. Solche Äußerlichkeiten reichen aber nicht aus, um junge Konsumenten zu überzeugen.

Da sind andere weiter, teils mit überraschenden, innovativen Bedienkonzepten. Wie der kleine Personal Assistent im Cockpit der chinesischen Marke Nio, der mit Hilfe von künstlicher Intelligenz mit den Insassen kommuniziert und deren Wünsche antizipiert. Warum kam Bentley nicht auf die Idee, einen elektronischen Butler einzubauen?

Wie Bentley noch zu retten ist

Nun wäre es in so einer Situation vollkommen falsch, halbherzige Schritte zu unternehmen. Business as usual verbietet sich in der Krise. Es gilt vor allem, mit internen Annahmen vorsichtig zu sein. Wenn uns Firmen zu Turnaround-Projekten rufen, haben wir die besten Erfahrungen damit gemacht, den harten Daten zu vertrauen, nicht internen Meinungen und schon gar nicht dem Bauchgefühl. Wenn nicht alle Fakten ohne jegliche Tabus auf den Tisch kommen, wird der Nimbus von Bentley endgültig schwinden. Die folgenden Schritte habe ich immer wieder erfolgreich bei der Sanierung von Marken angewendet:

Erstens: radikale Ursachenforschung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und fortschrittlichen digitalen Analysemethoden. Statt klassischer Marktforschung ist es viel präziser, wertfrei die digitalen Konversationen von Konsumenten auszuwerten. Das Ergebnis dieser sogenannten "Consumer Sentiment"-Messung zeigt schonungslos, wo die Probleme liegen.

Zweitens: Die Marke muss wieder mit Leben gefüllt werden. Es muss klar an Konsumenten kommuniziert werden, wofür die Marke steht und was sie einzigartig macht. Nur zu sagen, dass man besondere Autos mit bester Handwerkskunst baut, ist zu wenig. Es muss mehr Präzision her. Und die Marke muss spannend rüberkommen.

Drittens: Bentley muss wieder inspirieren. Das muss über alle Kontaktpunkte zur Marke erfolgen. Nichts am Markenerlebnis darf austauschbar sein. Einzigartigkeit muss das Ziel sein.

Bentley steht am Scheidepunkt. Mit mutigen Schritten hat CEO Adrian Hallmark jetzt die historische Chance, Bentley vom Sanierungsfall wieder zur führenden Luxusmarke zu machen. Wenn er dabei nicht konsequent vorgeht - und dafür die nötige Unterstützung aus Wolfsburg hat -, läuft die Marke Gefahr, alles zu verlieren. Es ist Zeit zum Handeln, nicht für Visionen. Sonst wird die Marke Bentley ihren großen Fan und Förderer Ferdinand Piëch nicht allzu lange überleben.

Daniel Langer ist Experte für die Luxusbranche und schreibt als Meinungsmacher für manager-magazin.de. Wie bei den anderen Meinungsmachern auch, gibt seine Meinung nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.