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500-Euro-Schein: Angriff auf die Romantik des Kapitalismus Die EZB schafft Europas größtes Symbol ab

Zorn und Geld: Warum regt sich soviel Unmut darüber, dass die EZB den größten Euro-Schein nicht weiter produzieren lassen will? Weil Bargeld viel mehr ist als bloßes bedrucktes Papier.
Das sind sie: 500-Euro-Scheine in einer Sparkasse in Bayern.

Das sind sie: 500-Euro-Scheine in einer Sparkasse in Bayern.

Foto: Matthias Balk / dpa

Vertrauen ist ein Schlüsselwort für Mario Draghi. Neunmal taucht es im Intro zum diesjährigen Geschäftsbericht der Europäischen Zentralbank (EZB) auf. Immer wieder geht es um die "Stärkung des Vertrauens". Die Verbraucher, die Unternehmen, die Banken brauchen Vertrauen, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt und die Deflationsgefahren verschwinden. Überhaupt soll alle Welt darauf vertrauen können, dass der Euroraum nicht durch einen spekulativen Unfall auseinanderfliegt. In einer unsicheren weltwirtschaftlichen Situation wolle die Zentralbank ein "Vertrauensanker" sein, so der EZB-Präsident.

Und jetzt das: Der EZB-Rat hat beschlossen, künftig keine 500-Euro-Scheine mehr drucken zu lassen. Eigentlich keine große Sache, sondern eine technische Entscheidung. Doch das öffentliche Echo ist heftig, gerade in Deutschland. Ifo-Chef Clemens Fuest formuliert, was viele befürchten: dass es der EZB letztlich darum gehe, das Halten von Bargeld zu erschweren, um die Strafgebühren auf digitale Zentralbankguthaben ("negative Einlagezinsen") weiter erhöhen zu können.

Geht es letztlich darum, das Bargeld gänzlich abzuschaffen? Die Idee steht im Raum, seit sie der US-Ökonom Kenneth Rogoff vor einiger Zeit in die Welt gesetzt hat. Gäbe es nur noch elektronisches Geld, so die Argumentation, könnten die Notenbanken nach Belieben die Geldhaltung mit Strafgebühren belegen und die Leute so zum Ausgeben animieren. Bargeld beschränke die Handlungsfähigkeit der Notenbanken, und zwar unnötiger Weise in Zeiten elektronischer Zahlungsmittel.

Die Debatte säht Misstrauen. Denn die rein technokratische Sicht übersieht den tiefergehenden Charakter des Geldes, der viel wichtiger ist, als Ökonomen gemeinhin annehmen: Es ist nicht nur Recheneinheit, Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel, nicht nur ein Mittel, das Transaktionen über Raum und Zeit hinweg ermöglicht. In modernen Gesellschaften ist es der Wertmaßstab schlechthin. Geld liegt nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch sozialen Beziehungen zugrunde. In einem durchökonomisierten Gemeinwesen wird alles in Geldwerten mess- und vergleichbar. Alles und jeder kann durch einen Geldbetrag ausgedrückt werden. Letztlich ist alles eine Frage des Preises.

Bargeld verankert diesen Wertmaßstab in der erlebten Realität. Das muss nicht auf ewig so bleiben, aber bislang hat die große Masse der Bürger Cash in der Tasche: 18,9 Milliarden Scheine im Wert von knapp 1,1 Billionen Euro waren Ende 2015 in Verkehr, rund 10 Prozent der gesamten Geldmenge (M3). Trotz der Verbreitung von Plastikgeld möchten die Bürger Scheine und Münzen nicht missen: Bargeld - gesetzliches Zahlungsmittel, Symbol für Staat und Nation, werthaltiges Zeichen in einer modernen Welt, die arm ist an großen Symbolen. Sicher, die multinationale Währung Euro ist ein mehrdeutiges Symbol. Aber immerhin ist sie ein Stück täglich erlebtes Europa. Der 500er-Schein ist womöglich Europas größtes Symbol.

Die EZB bemüht sich denn auch, die Sache mit dem 500er herunterzuspielen. Die Eindämmung der Machenschaften von Kriminellen, die häufig auf große Geldscheine zurückgreifen, seien der Grund dafür, dass die Produktion eingestellt wird. Es gehe keineswegs um die Abschaffung des Bargelds, schrieb Draghi kürzlich an den Europaparlamentarier Fabio De Masi, der eine entsprechende Frage gestellt hatte. Auch gehe es angeblich nicht um die Möglichkeit, die Strafgebühren auf Einlagen zu erhöhen. "Keinerlei Zusammenhang" gebe es zu "den geldpolitischen Erwägungen" des EZB-Rats.

Eigentlich geht es um Kleinkram. Ab Ende 2018 sollen keine 500er mehr produziert werden. Dafür sollen mehr von den kleineren Denominationen in Verkehr gebracht werden. Zuletzt wurde 2014 eine Ladung 500er gedruckt: 85 Millionen Stück, im Auftrag der Österreichischen Nationalbank; davor wurden die großen Scheine zuletzt 2011 produziert. Existierende 500er würden "für immer ihren Wert behalten", ließ die EZB verlauten.

Bargeld: Das letzte Stück Wärme

Warum also die ganze Aufregung? Weil Geld mehr ist als bunt bedrucktes Papier. Dass wir bereit sind, für eigentlich wertloses Material Dinge herzugeben, die für uns Wert haben, nicht zuletzt große Teile unserer Lebenszeit und Arbeitskraft, mag uns normal vorkommen. Aber genau genommen steckt darin ein Stück Magie: der Glaube an eine höhere, letztlich undurchschaubare Macht, die dafür sorgen wird, dass dem wertlosen Papier Wert eingeflößt wird. Geld ist ein Versprechen. Es basiert auf Vertrauen. Deshalb reagieren Notenbanker, darin Priestern nicht unähnlich, so empfindlich auf öffentliche Kritik. Der Glaube an ihre wohlmeinende Weisheit darf nicht schwinden. Sonst hört der Zauber auf zu wirken.

Lange haben die christlichen Gesellschaften mit dem Wesen des Geldes gehadert. Im Mittelalter verteufelte man das Geld, weil es den Menschen in Versuchung führe, ihn zu Habgier und Schwelgen in sinnlosem Luxus verleite und von der Sorge ums Seelenheil ablenke. Die "Diabolik" resultiere daraus, so der Soziologe Niklas Luhmann, "dass das Geld andere Symbole, etwa die der nachbarschaftlichen Reziprozität oder der heilsdienlichen Frömmigkeit, ersetzt und eintrocknen lässt." Geld substituiert Gott.

So sah man das damals: Geld verdrängt das Gute aus der Welt und ersetzt es durch das Böse. Diese Zuspitzung ist eine Karikatur, natürlich. Der kalten Durchökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche stehen menschlichen Bedürfnisse gegenüber. Heutige reiche Gesellschaften huldigen keineswegs allein dem brutalen Eigennutz. Geld ist keineswegs der alleinige Maßstab. Aber es ist zweifellos ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste: Ohne Geld ist alles nichts.

In der Neuzeit bestimmen nicht mehr Gottesgebot, Tabu oder Nächstenliebe die sozialen Beziehungen, sondern der freiwillige Austausch zwischen freien Menschen auf Basis eines allgemein anerkannten, neutralen Wertmaßstabes. "Jeder kalkuliert seine Beziehung zum anderen nach Maßgabe seiner (privaten) Beziehung zum Geld", schrieb Luhmann. Das sei gegenüber traditionellen Gesellschaften eine "Befreiung", weil sie jedem Einzelnen weitreichende Wahlmöglichkeiten eröffne. Doch gehe damit zugleich eine "soziale Entleerung" einher, weil der Prozess des Tauschs durch Zwischenschalten des Geldes nicht mehr persönlich stattfinden muss - Käufer und Verkäufer sitzen sich nicht mehr persönlich gegenüber und verhandeln über Warenqualität, Preise und Lieferbedingungen. Meist läuft der Tausch anonym ab, womöglich gar automatisiert mittels Computer auf digitalen Marktplätzen. Aus zwischenmenschlichem Miteinander mit all seiner emotionalen Wärme wird kalt kalkulierende "rechenhafte Formalisierung" (Luhmann).

Bargeld ist, so gesehen, ein letztes Stück Wärme im monetarisierierten Nebeneinander der modernen Wirtschaftsmenschen. Wer den Eindruck erweckt, es abschaffen zu wollen, rührt an tiefe Gefühle. Entsprechend heftig dürfte die Gegenwehr ausfallen.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche

MONTAG

BRÜSSEL - Es wird wieder eng - Außerordentliches Treffen der Finanzminister der Eurogruppe zu Beratungen über das griechische Reformpaket.

BERLIN - Deutschland auf dem Prüfstand - Der Internationale Währungsfonds stellt seine turnusmäßige Analyse der deutschen Volks- und Finanzwirtschaft vor.

BERLIN - Suche nach dem linken Kurs - Die SPD lädt zur Wertekonferenz unter dem Titel "Gerechtigkeit - Neue und alte Fragen an die Sozialdemokratie". Dabei sind unter anderen Parteichef Gabriel, die Ministerpräsidentinnen Kraft und Dreyer sowie die Ökonomen Fratzscher (DIW) und Hüther (IW).

WIESBADEN - Wachstumsmotor auf Halbgas - Neue Zahlen zu den Auftragseingängen in der deutschen Industrie.

MÜNCHEN - Gefallene Gelbe Engel - Bilanzpressekonferenz des ADAC.

DIENSTAG

GENF - Hoffnung auf Frieden? - Mutmaßliche Fortsetzung der Syrien-Friedensgespräche.

LUXEMBURG - Energiewende auf dem Prüfstand - Der Europäische Gerichthof entscheidet im Streit zwischen Deutschland und der Kommission über das Erneuerbare-Energiengesetz.

PEKING - Preissignale - Neue Zahlen zur Entwicklung der chinesischen Verbraucher- und Erzeugerpreise.

WOLFSBURG - Dieselgate - Die Kanzlei Jones Day berichtet dem Volkswagenaufsichtsrat über Ergebnisse der Ermittlungen zu Manipulationen der Abgaswerte.

Essen - Harte Zeiten - ThyssenKrupp legt Zahlen von der ersten Hälfte des Geschäftsjahrs 2015/16 vor.

HV-Saison I - Hauptversammlungen von Hannover Rück, EnBW

MITTWOCH

BERLIN - Eiszeit im Frühling - Treffen der Außenminister Deutschland, Frankreichs, Russlands und der Ukraine.

BERLIN - Nullen und Einsen - Internationale Konferenz zur digitalen Zukunft. Mit dabei: Kanzleramtsminister Altmaier und Vertreter von Intel, Microsoft, Amazon.

LONDON - Rein oder Raus? - Der britische Finanzministers Osborne erklärt vor dem Finanzausschusses des Parlaments, warum er für den Verbleib Großbritanniens in der EU ist.

HV-Saion II - Hauptversammlungen von Hochtief, Bilfinger, K+S, Talanx.

DONNERSTAG

LONDON - Brexit-Gefahr - Vor dem Referendum über den Brexit entscheidet die Bank von England über ihren weiteren Kurs.

BRÜSSEL - Tubulente Zeiten - Treffen der EU-Außenminister.

HV-Saison III - Hauptversammlungen von BMW, Adidas, Fresenius Medical Care, Vonovia.

FREITAG

WIESBADEN/BRÜSSEL - Pulsmessung - Erste Schätzungen zur Entwicklung des Bruttoninlandsprodukts in Deutschland und in der Eurozone als ganzer.

Quartalszahlen - Hapag Lloyd, Sixt AG, GfK, Salzgitter, EnBW berichten vom zurückliegenden Vierteljahr

SONNTAG

TOYAMA - Klimafragen - Umweltministertreffen der G7-Staaten in Japan. Für Deutschland dabei: Bundesumweltministerin Hendricks.