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Führung unter Existenzdruck Härtetest für verwöhnte Topmanager

Von Michael Baur
Daimler-Chef Ola Kaellenius ließ innerhalb weniger Tage die Produktion in Europa stoppen.

Daimler-Chef Ola Kaellenius ließ innerhalb weniger Tage die Produktion in Europa stoppen.

Foto: THOMAS KIENZLE/AFP

Noch können weder Virologen, Regierungschefs oder CEOs abschätzen, wie weitreichend die humanitären, sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind. Klar aber ist: Viele Unternehmen sind angesichts unterbrochener Lieferketten und teilweise dramatisch sinkender Absatzzahlen mit massiven, zum Teil existenziellen Risiken konfrontiert. Was verlangt die Corona-Welt den Top-Entscheidern ab?

Michael Baur
Foto: AlixPartners

Michael Baur verantwortet die EMEA Region bei AlixPartners und ist aktueller Vorstandsvorsitzender der TMA, dem deutschen Berufsverband der Restrukturierungsexperten

Aufgrund des längsten Wirtschaftsaufschwungs der Geschichte ist eine Manager-Generation herangewachsen, die sich kaum mit Krisenmanagement, sondern vielmehr mit Wachstumsstrategien und kosteneffizienten, internationalen Wertschöpfungsketten beschäftigt hat. Durch Covid-19 - der französische Präsident bezeichnete es gar als 'Krieg' - müssen CEOs aus fast allen Industrien quasi über Nacht Szenarien durchspielen, Lösungsansätze entwickeln und Entscheidungen treffen, die sie in der gebotenen Radikalität sehr wahrscheinlich noch nie zuvor treffen mussten.

Basierend auf meiner 25-jährigen Erfahrung als internationaler Krisenmanager kann ich allen CEOs nur abraten, in den aggressiven Kriegsmodus zu schalten. Vielmehr geht es gerade jetzt um besonnenes Handeln - das Richtige mit Ruhe, Klarheit und Konsequenz zu tun. Machen Sie einen Schritt zurück aus der Covid-19-Gefahrensituation, betrachten Sie die Risiken mit einem gewissen Abstand, um dann in aller Klarheit und Furchtlosigkeit die entsprechenden Handlungsoptionen zu bewerten!

Folgende Eigenschaften sind jetzt gefordert:

1. Entscheidungsfähigkeit

Perfektionismus ist jetzt fehl am Platze: Wird nicht schnell genug entschieden, kann das ebenso zerstörerisch wirken wie vermiedene vermeintliche Fehlentscheidungen. Zwar mag die Entscheidungsgrundlage porös wirken, aber sie lässt sich verbessern: Moderne Krisenmanager sind aktive Zuhörer. Durch hierarchieübergreifende Lösungsteams beziehungsweise "Schwarmintelligenz" sichert sich ein CEO schnelle und effektive Lösungsvorschläge. Wenn man nur die Pinguine um sich herum befragt, wie sich die Speisekarte verändern sollte, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder nur Fischgerichte draufstehen! Und der alleinentscheidende Patriarch ist dieser Krise sowieso in größter Gefahr.

2. Strategisches Krisenmanagement

Exzellente Leader verlieren trotz aller kurzfristigen Rettungsmaßnahmen nicht das große Ganze aus den Augen. Diese Fähigkeit, sowohl analytisch als auch pragmatisch zu sein, hilft, die aktuell enorme Komplexität zu vereinfachen - für mich ein zentraler

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Baustein für jede Restrukturierung. Über die passiven kurzfristigen Schutzmaßnahmen hinaus muss der Vorstand so früh wie möglich auch potentielle aktive, strategische Maßnahmen entwickeln. Zu diesen gehören beispielsweise die Frage nach eventuell dauerhaften Veränderungen des eigenen Marktumfeldes. Alle Airlines treibt beispielsweise die Frage um, wie sich das Flugverhalten ihrer Kunden nach überstandener Covid-19-Pandemie dauerhaft verändert beziehungsweise wie das "New Normal" für Airlines dann aussieht? Die aktuelle Krise gibt stärkeren Playern aber auch die Möglichkeit, den Markt weiter aktiv zu konsolidieren.

3. Glaubwürdigkeit und Authentizität

Wer als CEO schon zuvor als Umsetzer nicht glaubwürdig war, ist jetzt verloren. Konsequenz und Zuverlässigkeit, ein moralischer Kompass zu sein, sowie ruhiges, unerschütterliches Agieren sind in der Krise absolute Erfolgsfaktoren. Dazu gehört auch, Botschaften klar, authentisch und konsistent gegenüber allen relevanten Stakeholdern - intern wie extern - zu kommunizieren. Selbst die toughesten Entscheider gelangen in stillen Momenten an den Rand ihrer Belastbarkeit. Dennoch verstehen sie: Ihre Teams, ihre Belegschaft sind kein "bloßes Humankapital", sondern denkende und fühlende Menschen. Sie wissen um Sorgen wie Ängste um Existenz wie Gesundheit bis hin zu Wut. Daher sind sie gerade jetzt "nahe dran" an ihren Mitarbeitern und im kontinuierlichen Dialog.

Der Satz "Es gibt keine Leadership ohne Followership" zählt in der Krise doppelt. Neben all ihrem IQ brauchen CEOs nun vor allem ihren EQ: Einerseits, um die notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen konsequent umzusetzen, und um andererseits dennoch den Glauben der Belegschaft an das Unternehmen und die handelnden Personen nicht zu verlieren.

Wie beispielsweise VW, Mercedes und BMW die Produktion innerhalb weniger Tage stillgelegt haben, bedarf Entscheidungs-Mut, ist aber auch ein relativ einfach umzusetzendes Pflichtprogramm. Für die Automobilhersteller und viele anderen Unternehmen wird die Kür nach Ende des "Lock-Downs" deutlich herausfordernder. Es beinhaltet unter anderem den Ramp-Up der stillgelegten Produktion inklusive der gesamten externen Lieferkette sowie höchstwahrscheinlich auch entsprechende Anpassungen der Aufbau- und Ablauforganisation sowie der Modellpalette an ein verändertes Konsumverhalten.

Es ist eine spannende Zeit für Führungskräfte, jetzt trennt sich der Spreu vom Weizen bei den Krisenmanagern/-innen!