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Europas neues Krisenzentrum Mailand Was Sie über Italiens Bankenkrise wissen müssen

Von Arvid Kaiser
Mailänder Bankenviertel: Das neue, alte Krisenzentrum Europas

Mailänder Bankenviertel: Das neue, alte Krisenzentrum Europas

Foto: OLIVIER MORIN/ AFP

Kaum ist der Brexit in der politischen Realität angekommen, wird die Euro-Zone schon wieder von eigenen Problemen gequält. Italien ist schon wieder Krisenherd Nummer eins, wegen seiner Banken legt das Land sich mit den europäischen Partnern an.

Gerade läuft ein neuer Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht in die heiße Phase. Doch schon jetzt stehen Namen wie Monte dei Paschi di Siena abermals ganz oben auf der Sorgenliste der Finanzwelt. Eine akute Rettungsaktion scheint nötig.

Um wie viel Geld geht es?

Das Gewicht des Himmels: 350 Milliarden Euro faule Kredite sind auch für den Riesen Atlas zu viel

Das Gewicht des Himmels: 350 Milliarden Euro faule Kredite sind auch für den Riesen Atlas zu viel

Foto: AFP

Um wie viel Geld geht es?

Auf den ersten Blick ist die Summe erschlagend: Laut der Zentralbank Banca d'Italia gelten fast 14 Prozent aller Kredite in den Büchern italienischer Banken als faul ("Sofferenze"): 209 Milliarden Euro; nach einer weiteren Definition sind sogar Kredite im Wert von 348 Milliarden Euro Not leidend.

Der größte Teil davon ist in den Bilanzen schon abgeschrieben (auf ungefähr 40 Prozent des Nennwerts). Doch um auf den aktuellen Marktwert von rund 20 Prozent zu kommen, fehlen immer noch gut 40 Milliarden Euro. Genau diese Summe hat die Regierung von Matteo Renzi als Staatshilfe ins Spiel gebracht.

Es gibt zwar seit April einen privaten Rettungsfonds namens Atlante, der hat seine 4,3 Milliarden Euro aber schon zur Hälfte für die Kapitalerhöhungen zweier mittelgroßer Banken (Popolare di Vicenza und Veneto Banca) verbraucht. Jetzt soll Atlante - benannt nach dem Riesen Atlas aus der griechischen Sage, der die Last des Himmels tragen musste - nochmal so viel Geld aufnehmen. Aber das würde bei weitem nicht reichen.

Gibt es auch starke Banken, die als Retter infrage kommen?

Unicredit-Zentrale: Auch der Marktführer hat eigene Bilanzlücken zu schließen

Unicredit-Zentrale: Auch der Marktführer hat eigene Bilanzlücken zu schließen

Foto: © Stefano Rellandini / Reuters/ Reuters

Gibt es auch starke Banken, die als Retter infrage kommen?

Kaum. Die beiden Marktführer Unicredit  und Intesa Sanpaolo  - jeweils entstanden aus einer Fusion lokaler Geldhäuser in dem immer noch stark zersplitterten Markt - haben schon jeweils eine Milliarde Euro in Atlante eingebracht. Dabei haben sie selbst zweistellige Raten fauler Kredite, obendrein noch Probleme mit ihren großen Investments in Osteuropa.

Unicredit als einzige italienische Bank mit dem Siegel "global systemwichtig" ringt bereits um die geforderte Kernkapitalquote von 10,75 Prozent. Da hilft der Hinweis wenig, dass für die Wettbewerber in anderen Euro-Staaten weniger strenge Maßstäbe gelten.

Die Wahl des französischen Investmentbankers Jean-Pierre Mustier zum neuen Unicredit-Chef wird auch als Signal gesehen, um den Konzern aus dem Loyalitätsgeflecht der italienischen Wirtschaft herauszuhalten.

Wieso haben die Banken nicht längst ihre Bilanzen aufgeräumt?

Mailänder Apartmenttürme: Den Boom anderer Euro-Staaten gab es hier nie - die Krise aber schon

Mailänder Apartmenttürme: Den Boom anderer Euro-Staaten gab es hier nie - die Krise aber schon

Foto: B Plessi

Wieso haben die Banken nicht längst ihre Bilanzen aufgeräumt?

Das haben sie durchaus. Allein Monte dei Paschi, die älteste Bank der Welt, hat schon vor der nächsten Finanzspritze in den vergangenen Jahren zehn Milliarden Euro an frischem Eigenkapital eingesammelt, ähnlich viel die Unicredit. Auch die neueste Bankenfusion von Banco Popolare und Banca Popolare di Milano startet mit einer milliardenschweren Aktienemission. Aber aktuell sind neue Aktionäre nur noch bereit, einen Bruchteil des Buchwerts für italienische Banken zu zahlen.

Auf der anderen Seite der Bilanz haben die Institute Risikovorsorge gebildet und die Werte ihres Kreditportfolios abgeschrieben - nur eben nicht schnell genug, um mit der schnell wachsenden Last fauler Kredite fertig zu werden.

Noch vor wenigen Jahren war in dem Land, das in jüngerer Vergangenheit gar keinen Kreditboom oder eine Spekulationsblase am Immobilienmarkt erlebt hat, kaum ein Problem mit privaten Verbindlichkeiten zu erkennen. Eine radikale Bad-Bank-Lösung, wie in Irland oder Spanien in den vergangenen Jahren, erschien in Italien deshalb schlicht nicht notwendig.

Woher kommen all diese faulen Kredite?

Ausverkauf in Rom: Die Einkommen sind heute geringer als zur Einführung des Euro

Ausverkauf in Rom: Die Einkommen sind heute geringer als zur Einführung des Euro

Foto: DPA

Woher kommen all diese faulen Kredite?

Bis heute ist die private Verschuldung in Italien vergleichsweise gering, die der privaten Haushalte zählt mit 43 Prozent der Wirtschaftsleistung sogar zu den niedrigsten Werten Europas. Auch Unternehmen und Staat meiden seit Jahren kreditfinanzierte Investitionen. Und die Banken selbst geben seit 2012 stetig weniger Geld bereit. Aber wenn alle zugleich so risikoscheu sind, kann ein Wachstumsimpuls nur von außen kommen - in der Euro-Zone von heute keine Option.

Das Ergebnis ist volkswirtschaftliche Stagnation. In fünf der vergangenen acht Jahre steckte Italien in der Rezession. Die Italiener sehen sich zu Recht als die größten Verlierer des Euro. Ihr reales Pro-Kopf-Einkommen ist heute geringer als zu Beginn der Währungsunion. Das schaffen nicht einmal die Griechen.

Sinkende Kaufkraft und zunehmende Firmenpleiten führen dazu, dass solide Finanzierungen von gestern die faulen Kredite von heute sind. Besonders die Eskalation der Euro-Krise hat das Problem verschärft. Seit Sommer 2011 haben italienische Immobilien 15 Prozent an Wert verloren, obwohl sie sich zuvor kaum verteuert hatten. Damit taugen sie auch kaum noch als Kreditsicherheiten für die Banken. Italiens Bankenkrise ist die Folge der allgemeinen Wirtschaftskrise.

Wäre es eine Option, auf bessere Zeiten zu warten?

Monte dei Paschi di Siena: Älteste Bank der Welt, größter Berg fauler Kredite

Monte dei Paschi di Siena: Älteste Bank der Welt, größter Berg fauler Kredite

Foto: STEFANO RELLANDINI/ REUTERS

Wäre es eine Option, auf bessere Zeiten zu warten?

Das scheinen manche italienische Banker zu suggerieren. Die Banca Monte dei Paschi di Siena verweist darauf, ihre "Sofferenze" von 27 Milliarden Euro seien zu 160 Prozent mit Vermögenswerten der Schuldner besichert. Es bräuchte nur eben Zeit, diese Werte einzutreiben. Zumindest ein Teil der Verluste müsste nicht realisiert werden, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Die Wachstumsprognosen von um 1 Prozent für die kommenden Jahre machen allerdings kaum Mut.

Und selbst wenn die Strategie des Abwartens aufgehen würde - die europäischen Aufseher erlauben das nicht. Die ganze Übung von Stresstests und Kapitalanforderungen zielt darauf ab, alle Zweifel an der Vitalität des Finanzsystems auszuräumen.

Kann nicht einfach der Staat einspringen?

Pro-Europäer Matteo Renzi: Konflikt mit Europas Regeln zur Staatshilfe

Pro-Europäer Matteo Renzi: Konflikt mit Europas Regeln zur Staatshilfe

Foto: AP/dpa

Kann nicht einfach der Staat einspringen?

Nach dem Vorbild Irlands oder Spaniens wäre das gegangen. Diese Staaten haben sogar weitaus größere Probleme ihrer Banken auf sich genommen. Aber dafür kommt Italiens Krise wohl zu spät. "Vor Jahren hätte man das so gemacht", erklärt Silvia Merler vom Brüsseler Thinktank Bruegel. "Aber heute sieht das Bild anders aus."

Die EU hat sich als Teil ihrer Bankenunion neue Regeln gegeben, die Steuerzahler davor bewahren sollen, für schlechte Investments privater Banken zu haften. Der wichtigste Teil davon ist seit Anfang 2016 in Kraft. Mit seiner Bitte um eine Ausnahmegenehmigung blitzte Renzi bei Angela Merkel und der EZB ab.

Hinzu kommt, dass Italien mit seinem hohen Staatsschuldenstand von 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - zum Großteil geerbt aus den 80er Jahren - unter besonderer Beobachtung steht. Die Regierung achtet penibel darauf, das Defizit nach Europas Regeln unter 3,0 Prozent des BIP zu halten, und haben sogar einen Schuldenabbau mit Beginn dieses Jahres gelobt.

Dennoch liegen hier die offensichtlichen Reserven, um die Lücken im Finanzsystem zu schließen. Italien kann sich langfristig zu Zinsen von 2 Prozent Geld leihen. Da der Staat überwiegend bei den eigenen Bürgern verschuldet ist, droht keine akute Schuldenkrise. Nur die europäischen Regeln müssten dafür gelockert oder zumindest locker interpretiert werden.

Dafür wirbt beispielsweise der Schweizer Ex-Notenbankchef Philipp Hildebrand, jetzt Vizepräsident des Vermögensverwalters Blackrock: Italien solle nach dem Vorbild der USA 2008 großzügig und flächendeckend Kapital über die wichtigen Banken verteilen, und die Anteile nach erfolgreicher Operation wieder abstoßen. Als vorübergehende Maßnahme sollte man die Bankenrettung dann auch nicht zu den Staatsschulden zählen.

Oder die schwächsten Banken pleite gehen lassen?

Hafenstadt Genua: Der Ursprung des modernen Bankwesens - und ein Volk leidender Kleinsparer

Hafenstadt Genua: Der Ursprung des modernen Bankwesens - und ein Volk leidender Kleinsparer

Foto: © Alessandro Garofalo / Reuters/ REUTERS

Oder die schwächsten Banken pleite gehen lassen?

Das ist Teil der neuen europäischen Doktrin. Das "Bail-in"-Prinzip sieht vor, dass im Krisenfall zuerst die Eigentümer der Banken und dann in einer Haftungskaskade die Gläubiger mit unterschiedlichem Grad der Sicherung zur Kasse gebeten werden, bevor im äußersten Fall Geld vom Staat fließen darf.

Kurz vor dem Jahreswechsel hat der Bankenfonds 2015 fünf kleinere Banken aufgelöst, um noch eine eigene Variante des Bail-in anwenden zu dürfen. Dabei mussten nur die Aktionäre und unbesicherten Anleihegläubiger auf Geld verzichten. Große Sparguthaben wie die der vielen italienischen Familienunternehmen wurden entgegen der europäischen Regeln geschont, um einen Bankrun zu vermeiden.

Doch auch so war der Schock groß genug. Ein Anleihegläubiger der Banca Etruria nahm sich nach dem Verlust seiner Ersparnisse das Leben. Wenn schon eine kleinere, kontrollierte Pleite das Volk von Kleinsparern so bewegt, wie soll dann eine größere Marktbereinigung durchzusetzen sein?

Was hat all das mit dem Brexit zu tun?

Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung: Arrivederci, Euro!

Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung: Arrivederci, Euro!

Foto: REMO CASILLI/ REUTERS

Was hat all das mit dem Brexit zu tun?

Nicht viel, auch wenn Renzi die finanziellen Turbulenzen infolge des britischen Referendums als Argument für eine Ausnahmegenehmigung zur Staatshilfe nannte.

Allerdings sind die Aktien italienischer Banken mit am stärksten von den Kursverlusten seit dem Brexit-Votum betroffen - und damit geht die ohnehin schon geringe Chance, ausreichend Kapital aus privaten Quellen für eine Sanierung der Banken zu gewinnen, gegen Null.

Die neue Krise könnte die in Italien ohnehin schon verbreitete Unzufriedenheit mit Euro und EU nähren. Im Herbst steht ein Referendum über eine Verfassungsreform an, das die europatreue Regierung Renzi zu Fall bringen könnte. Und die in Umfragen führende Fünf-Sterne-Bewegung wirbt für ihr eigenes Referendum: zum Ausstieg Italiens aus der Währungsunion.

Uscitalia - ein Abschied des Euro-Kernlands hätte noch deutlich größere Sprengkraft für die Union als der Brexit.


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