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Diversität in einstiger Männerbastion Frauen im Top-Management? So macht es Porsche

Die Anzahl weiblicher Führungskräfte in einem technischen Unternehmen innerhalb von vier Jahren verdoppeln? Bei Porsche hat es geklappt. Der Autobauer zeigt damit: Auch bei den unmöglichsten Herausforderungen hilft eine solide Strategie.
Porsche-Produktion im Werk Zuffenhausen.

Porsche-Produktion im Werk Zuffenhausen.

Foto: Porsche

Der nachfolgende Text ist eine Kostprobe aus der Spezialausgabe des Harvard Business Managers "Strategie: Unternehmen führen in unruhigen Zeiten - eine Anleitung für Manager". Das gesamte Heft können Sie hier kaufen. 

An Change-Prozessen kann man verzweifeln, man kann sich verzetteln, Ausreden finden, die Umstände verantwortlich machen. Oder man kann sich an eine Strategie halten. Ein großes Ziel vorgeben, gemeinsam starten, motivieren, durch- und nachhalten. Und damit fast Unmögliches möglich machen.

Zum Beispiel in der Automobilindustrie. Stellen Sie sich vor, Sie wären bei Porsche  im Topmanagement und sollten den Frauenanteil erhöhen, am besten gleich um 50 Prozent. Mit weiblichen Führungskräften, die es im technischen Bereich ja angeblich gar nicht gibt. Und Männern, die sehr schnell angefasst reagieren, wenn sie das Wort Quote hören.

Natürlich: Diversity an sich ist nicht neu, und auch die Personaler beim Autobauer Porsche wünschten sich seit Jahren mehr weibliche Mitarbeiter. Doch es blieb bei Einzelmaßnahmen, die Strategie fehlte, das Bekenntnis von oben. Ex-Porsche-Chef und Übervater Wendelin Wiedeking stand für vieles, aber nicht unbedingt für Frauen im Management.

"Der Frauenanteil in den Führungspositionen dümpelte all die Jahre vor sich hin", so Konstanze Marinoff, die Leiterin des Personalmarketings.

Dann wechselte der Vorstand bei Porsche, die Generation Wiedeking trat ab, mit den neuen Führungskräften zog ein anderes Rollenverständnis ein. Gleichzeitig wuchs der Druck von außen: Heute ist Diversity Pflicht.

Doch während andere Firmen bereits LGBT-Netzwerke für ihre homo-, bi- oder transsexuellen Mitarbeiter gründeten, war bei Porsche noch nicht einmal das Thema Frau angekommen. Das schreckte weibliche Bewerber ab. Eine fatale Entwicklung im Kampf um Fachkräfte. "Wir wollen die Besten bei Porsche haben. Da wäre es fahrlässig, sich nicht verstärkt um die Frauen zu kümmern", so Personalvorstand Andreas Haffner.

Porsche brauchte einen Plan

Also entwickelte der Konzen eine harte Strategie, um sein weiches Thema Chancengleichheit zu erreichen: Er recherchierte, was die Mitarbeiter benötigten. Entwickelte Maßnahmen, um diesen Bedarf zu decken. Gab ein klares Bekenntnis des Vorstands dazu ab und ordnete das Ziel hierarchisch zwischen andere, harte Unternehmensziele ein. Chancengleichheit sollte fest verankert werden in den Werten und Zielen des Unternehmens - gleichzeitig sollte den Mitarbeitern genügend Spielraum gegeben werden, dieses Ziel zu erreichen. Es wurden für jeden Bereich fixe Quoten festgesetzt, Zahlen, an denen es nichts zu rütteln gibt - denn nur was messbar ist, kann kontrolliert werden. Halbjährlich wird Bilanz gezogen, am Ende jedes Jahres abgerechnet. Das Brett war dick für eine Branche, in der 92 Prozent der Führungskräfte männlich sind, die Woche 60 Stunden hat und Karrieren vor allem innerhalb des eigenen Unternehmens gemacht werden.

2012 war es dann so weit: Der Konzern startete sein Programm zur Chancengleichheit. Ein entscheidender Punkt der Strategie war zu zeigen, dass es der neue Vorstand ernst meint mit den Frauen: Er machte eine faire Beförderungspolitik bonusrelevant - wer wieder nur Männer beförderte, hatte am Ende das Jahres das finanzielle Nachsehen. "Als Chancengleichheit bonusrelevant wurde, hat es bei dem Thema einen richtigen Push gegeben", so Personalerin Marinoff.

Faires Verfahren: Um zu verhindern, dass Frauen beim Sprung ins Management zurückbleiben, hat Porsche sich eine Beförderungsquote gegeben. In jedem Ressort wird individuell ermittelt, wie viele Frauen im oberen Tarifbereich arbeiten. Dieser Anteil muss bei Beförderungen in die obersten drei Managementebenen berücksichtigt werden (in unserem Beispiel: 20 Prozent).

Faires Verfahren: Um zu verhindern, dass Frauen beim Sprung ins Management zurückbleiben, hat Porsche sich eine Beförderungsquote gegeben. In jedem Ressort wird individuell ermittelt, wie viele Frauen im oberen Tarifbereich arbeiten. Dieser Anteil muss bei Beförderungen in die obersten drei Managementebenen berücksichtigt werden (in unserem Beispiel: 20 Prozent).

Foto: Harvard Business Manager

Porsche führte ein kaskadenartiges Beförderungsmodell ein (siehe Grafik rechts). Der Konzern ermittelt in jedem Ressort, wie viele Frauen sich unter den leitenden Angestellten befinden. Dieser Anteil muss es auch auf die Managementebene schaffen. In Ressorts mit mehr Frauen, zum Beispiel im Finanzbereich, ist die Quote also höher als in denjenigen mit einem niedrigen Frauenanteil, wie beispielsweise der Entwicklung.

So soll verhindert werden, dass Frauen an der gläsernen Decke scheitern - und männliche Kollegen sich demotiviert abwenden. Durch das Modell wird erreicht, dass das, was wächst, auch weitergegeben wird ins Management. "Gleichzeitig wollten wir verhindern, dass dann eine Zeit lang nur Frauen ernannt werden das wäre ja nicht fair den männlichen Kollegen gegenüber", sagt Konstanze Marinoff. "Unser oberstes Ziel ist Chancengleichheit."

Haffner packt eine Grafik aus - darauf zu sehen: der Frauenanteil in der Belegschaft. Wenig überraschend: Je höher die Hierarchieebene, desto weniger Frauen. Gleichzeitig ist für Haffner und Marinoff klar, dass eine Quote keinen Erfolg haben wird, wenn sich die Kultur im Haus nicht ändert. Also trifft er sich regelmäßig mit Frauen aus seinem Unternehmen in sogenannten Fokusgruppengesprächen, um zu erfahren, was sie brauchen für eine Karriere bei Porsche.

Die Quote wird unterstützt durch vielfältige Maßnahmen. Eröffnete der Autobauer vor einigen Jahren stolz ein eigenes Steakrestaurant mit US-Prime-Beef, wird derzeit in den Bau einer Kita investiert. Um die Jobs flexibler zu gestalten, gibt es Angebote wie Homeoffice oder Führung in Teilzeit. Das haben viele Unternehmen schon seit 15 Jahren - doch bei Porsche geht damit ein Kulturwandel einher: Bislang bedeutete Karriere bei Porsche, 120 Prozent zu arbeiten, lange Tage, Präsenz, stete Erreichbarkeit. Viele Frauen mit Kindern finden dies wenig attraktiv - und haben schlichtweg kein Interesse an einer Führungsposition zu diesen Bedingungen.

Auch Christiane Storz, Abteilungsleiterin für den Bereich Vertriebscontrolling, hatte Schwierigkeiten, in diesem Modell Familie und Beruf zu vereinbaren: "Ich habe das anderthalb Jahre gemacht und mich zwischen Beruf und Familie komplett zerrieben. Ich konnte meinem Anspruch an eine Mutterrolle nicht gerecht werden, da ich meine Tochter kaum gesehen habe. Mir war klar: So kann ich nicht mehr weitermachen. Lieber verzichte ich auf den Karriereschritt." So wie einige Frauen vor ihr. Storz schlug vor, sich den Job künftig mit einer Kollegin zu teilen - und konnte ihre Chefs überzeugen, das erste Mal eine Leitungsfunktion in Teilzeit zu besetzen. "Das war ein absolutes Novum hier im Unternehmen - und hat extrem geholfen, Mütter für Führungspositionen zu begeistern", sagt ihr Vorgesetzter Holger Peters, Hauptabteilungsleiter Controlling.

Nach vier Jahren sprechen die Zahlen für die Strategie. Der Frauenanteil in den ersten drei Managementebenen unterhalb des Vorstands ist signifikant gestiegen, die Zahl der Frauen hat sich dort durchschnittlich mehr als verdoppelt (siehe Grafik links).

Foto: Harvard Business Manager

Trotzdem ist das Thema kein Selbstläufer: Vorstand Haffner diskutiert immer noch mit Mitarbeitern über die Relevanz von Diversität, neue Maßnahmen werden entwickelt und umgesetzt. "Wir brauchen den permanenten Dialog", so Haffner. "Für manche Unternehmen mögen viele dieser Maßnahmen ein alter Hut sein - für uns als über die Jahrzehnte sehr männerdominierter Sportwagenhersteller ist es aber ein großer Schritt."

Wir haben drei Porsche-Mitarbeiter gebeten, uns aus ihrer jeweiligen Perspektive zu berichten, wie sie die Strategie entwickelten, nachhalten, leben. Mit dabei sind Personalvorstand Andreas Haffner, die Leiterin des Personalmarketings, Konstanze Marinoff, und der Hauptabteilungsleiter Controlling, Holger Peters.

Andreas Haffner: "Chancengleichheit ist kein Selbstläufer"

Andreas Haffner ist seit einem Jahr Personalvorstand der Porsche AG.

Andreas Haffner ist seit einem Jahr Personalvorstand der Porsche AG.

Foto: Fotovorlage: PR

Sie können eine Zielvereinba-rung nicht einführen, ohne die Rahmenbedingungen zu ändern. Deshalb war es wichtig, dass sich der Vorstand zur Chancengleichheit bekennt und eine Vielzahl an Maßnahmen initiiert, um Frauen für Porsche zu gewinnen und sie, ganz wichtig, auch zu halten. 52 Prozent der Absolventen der Hochschulen in Deutschland sind Frauen, im Ingenieursbereich sind wir inzwischen bei 20 Prozent. Wir wollen die Besten bei Porsche haben. Da wäre es fahrlässig, sich nicht verstärkt um die Frauen zu kümmern. Deshalb ist es uns auch so ernst.

Wir beginnen an der Basis. In der technisch-gewerblichen Ausbildung haben wir den Anteil an Frauen auf nahezu 30 Prozent gesteigert. Von unseren Studierenden der Dualen Hochschule sind im aktuellen Jahrgang über 50 Prozent weiblich, bei den Trainees sogar 70 Prozent. Leider, und damit stehen wir nicht allein, verlieren wir viele talentierte Frauen im Laufe der Zeit, weil sich Familienplanung und Karriere in Deutschland offensichtlich immer noch schlecht vereinbaren lassen. Ein Grund sind sicherlich fehlende Role-Models, wir waren in der Vergangenheit zu sehr an Präsenz orientiert, wir verlieren während der Elternzeit den Kontakt zu den Frauen. Also haben wir verschiedene Dinge auf den Weg gebracht: Wir haben vor drei Jahren attraktive Teilzeitprogramme eingeführt und ein Mentoringprogramm. Wir bieten an allen größeren Standorten Kitaplätze an, denn die Kinderbetreuung ist in über 50 Prozent der Fälle das Kriterium, wenn eine Frau sagt: Ich will nicht ins Management wechseln. Manche Frauen fühlen sich auch unwohl damit, eine Führungsposition zu übernehmen, diese Kolleginnen müssen wir in ihrer Entscheidung stärken, etwa mit Coachings. Zudem ermöglichen wir es, dass sich zwei Führungskräfte eine Stelle teilen. Wir haben jetzt erstmals eine Frau ins Management berufen, die gerade in Elternzeit ist. Das ist ein klares Signal an alle: Du bist nicht abgekoppelt von der Entwicklung, nur weil du jetzt ein Kind bekommen hast.

Da könnte man nun sagen, das ist doch alles nichts Besonderes - aber für uns als über die Jahrzehnte hinweg sehr männerdominierter Sportwagenhersteller ist es das. Natürlich ist Chancengleichheit ein Prozess, der reifen muss. Das Umdenken einer Führungsmannschaft erreichen Sie nicht in einem halben Jahr, und da gibt es immer wieder Diskussionen. Die Gründe sind vielfältig und wohl in allen Branchen und Firmen identisch: Es gibt eine Nachfolgeplanung, die öfter Männer berücksichtigt, weil sich viele Frauen karrieretechnisch nicht in den Vordergrund drängen. Auch haben viele Führungskräfte ein eher tradiertes Bild im Kopf, dass Frauen maximal in Teilzeit arbeiten und sich um ihre Familie kümmern. Natürlich kann man den Kollegen immer wieder erklären, wie viel besser gemischte Teams sind. Doch: Wenn man groß geworden ist in Runden, in denen Alphamännchen miteinander gerungen haben, dann tut man sich schwer damit zu akzeptieren, dass da jetzt auch Frauen am Tisch sitzen.

Was wir hier insgesamt an Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, zeigt, dass es geht. Trotzdem ist Chancengleichheit natürlich kein Selbstläufer. Es braucht den permanenten Dialog, um die Kultur zu verändern. Die Koppelung an die Vergütung hat den einen oder anderen zusätzlich überzeugt.

Jetzt werden Sie sich sicherlich fragen: Hätte es für den Vorstand der Porsche AG nicht auch eine Frau gegeben? Anscheinend noch nicht. Aber wir füllen die Pipeline mit Hochdruck. Und wenn irgendwann einer sagt, der Herr Haffner soll noch mal was anderes machen, dann räume ich gern meinen Platz für eine Frau.

Konstanze Marinoff: "Wer fair befördert, bekommt seinen Bonus"

Konstanze Marinoff ist Leiterin Personalmarketing der Porsche AG und hat die Strategie für das Projekt Chancengleichheit entwickelt und implementiert.

Konstanze Marinoff ist Leiterin Personalmarketing der Porsche AG und hat die Strategie für das Projekt Chancengleichheit entwickelt und implementiert.

Foto: Fotovorlage: Stephanie Trenz

Wir haben bei Porsche im Management eine variable Vergütung, die ist unter anderem von der persönlichen Zielerreichung abhängig. Und eines der Ziele, die jeder Manager erfüllen muss, ist Chancengleichheit. Das ist der entscheidende Faktor: Wer nicht anteilig Männer und Frauen fair befördert, bekommt also weniger Geld.

Dieses Ziel haben wir vor vier Jahren eingeführt: Es gab den klaren Auftrag des Vorstands, mehr Frauen ins Management zu bringen. Gleichzeitig wollten wir verhindern, dass dann eine Zeit lang nur Frauen ernannt werden - das wäre ja nicht fair den männlichen Kollegen gegenüber. Wir meinen das mit der Chancengleichheit absolut wörtlich. Bei uns zählt deshalb der Frauenanteil bei der Berufung ins Management - dieser muss mindestens so hoch sein, wie es Frauen in der Grundgesamtheit in diesem Bereich gibt. Ein Beispiel: Wenn im Ressort Finanzen aktuell 20 Prozent Frauen im oberen Tarifbereich arbeiten, also theoretisch auf dem Weg ins Management sind, dann müssen im nächsten Jahr in diesem Ressort bei den Beförderungen oder Neueinstellungen im Management auch 20 Prozent Frauen dabei sein. So verändert sich der Frauenanteil im Management langsam, und es können sowohl Frauen als auch Männer aufsteigen. Dieses Modell ist fair und trotzdem ambitioniert.

Jedes Ressort bekommt seine eigene Zielvorgabe - auch das ist fair und sinnvoll: So erhält beispielsweise ein frauenstärkerer Bereich wie der Vertrieb eine höhere Zielvorgabe als das Entwicklungsressort, das auch weniger Frauen in der Pipeline hat. Zum Ende des Jahres wird bilanziert: Wie viele Frauen wurden innerhalb der obersten drei Managementebenen befördert? Diese Zahl wird mit den vorgegebenen Zielen für dieses Ressort abgeglichen. Wer das Ziel nicht erreicht, bekommt weniger Geld. Und das wirkt.

Als wir das Modell vorgestellt haben, fühlte sich erst mal jeder benachteiligt. Es gab eine große Diskussion, am lautesten haben die geschrien, die es am wenigsten betroffen hat. Grundtenor: Das sei eine Benachteiligung der Männer. Ist es aber nicht, wenn man die Systematik verstanden hat.

Inzwischen haben wir das vierte Jahr fast geschafft. Das System ist etabliert, kaum einer stellt es mehr infrage. Ganz im Gegenteil - im Vorstand ist klar: Wir wollen das Ziel erreichen. Wenn wir nicht genug Frauen in einer Berufungsrunde haben, dann lohnt es sich, vielleicht auch noch einen Blick auf die Kolleginnen zu werfen, die nicht im ersten Moment im Fokus standen.

Die Zahlen sprechen für unser Projekt: Der Frauenanteil in den Führungspositionen hatte all die Jahre vor sich hin gedümpelt. Als Chancengleichheit bonusrelevant wurde, hat es einen richtigen Push gegeben. Natürlich darf man nicht vergessen, parallel auch die Rahmenbedingungen etwa für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie zu schaffen.

Im Ergebnis haben wir bei den leitenden Angestellten der ersten Ebene einen Zuwachs von 300 Prozent seit 2012. Klar gilt bei uns das Gesetz der kleinen Zahlen, sprich: Wir haben in diesem Fall von einer auf vier Frauen erhöht. Das Wichtige ist aber, dass die Zahlen zeigen: Es geht. Es gibt die Frauen!

Holger Peters: "Frauen pochen nicht zwingend auf Karriere"

Holger Peters leitet die Hauptabteilung Controlling der Porsche AG.

Holger Peters leitet die Hauptabteilung Controlling der Porsche AG.

Foto: Fotovorlage: PR

Nicht viele Frauen haben sich bei Porsche bisher in Führungspositionen entwickelt, was in der Regel an der geringen Grundmenge an Nachwuchskräften lag. Deshalb freue ich mich, dass das zukünftig anders werden soll.

Ich selbst habe in verschiedenen Positionen im In- und Ausland gearbeitet, das Thema Diversity liegt mir von daher immer schon am Herzen. Im Bereich Finanzen haben wir fortwährend bereits einen relativ hohen Frauenanteil gehabt, wir mussten also nicht umdenken. Vielmehr konnten wir das, was wir hier ohnehin schon gelebt haben, noch weiter ausprägen. Das Ganze hat durch die monetäre Komponente aber einen verbindlicheren Charakter bekommen: Jeder muss das Ziel genauso ernst nehmen wie jedes andere Unternehmensziel, sonst spürt er es bei seinem Bonus.

Die Vorgaben für den Frauenanteil bei den Beförderungen sind für jedes Ressort individuell, aber verbindlich. Da ein Ressort aber aus verschiedenen Abteilungen und Hauptabteilungen besteht, habe ich natürlich auch eine gewisse Flexibilität. In der Summe müssen wir die Quote erreichen. Wenn eine Abteilung oder Hauptabteilung also mal etwas unterhalb des Zielwerts liegt, kann dies durch eine andere ausgeglichen werden. Unsere förderungswürdigen männlichen Kandidaten erleiden dadurch keinen Nachteil im beruflichen Weiterkommen.

In den technischen Bereichen ist die Zielerreichung eine noch stärkere Herausforderung, vor allem wenn die Pyramide ein größtenteils männliches Fundament hat. Die Kollegen mit technischem Background müssen noch mehr Energie in das Thema stecken, auch wenn deren Zielwerte niedriger sind. Doch überall sieht man, dass ein Umdenken stattfindet und Frauen anerkannter sind.

Ich würde lügen, wenn ich sagte, es gebe keine Bedenken bei den männlichen Mitarbeitern. Da hat sicherlich der eine oder andere Sorgen geäußert, was diese Strategie für seine Entwicklung bedeutet. Doch das Thema hatten sie früher auch. Wenn Sie jemanden befördert haben, gab es immer zwei oder drei, die dachten: "Warum nicht ich?" Egal, ob das Mann oder Frau war. Diese Diskussion wird nicht aufhören. Die Quotendiskussion wird jedoch aufhören, wenn die Frauen nachhaltig gute Arbeit leisten und ihre Weiterentwicklung auf Basis ihrer Persönlichkeit, Sozialkompetenz und Arbeitsqualität erfolgt - und das habe ich bisher in allen Fällen erlebt.

Die Rahmenbedingungen waren sicherlich nicht immer ideal, um Frauen durch den ganzen Prozess zu fördern. Heute nutzen wir verschiedene Maßnahmen. Wir haben andere Standards eingeführt, zum Beispiel das "Jobsharing im Management", weil wir festgestellt haben, dass bei dem Sprung auf die Abteilungsleiterebene einige Frauen vor Zielkonflikten standen: Hohe Arbeitslast auf der einen Seite und die Familie auf der anderen, vor allem wenn der Mann auch berufstätig ist - das ist schwer.

Also haben wir überlegt, die Last auf vier Schultern zu verteilen und eine Abteilungsleiterstelle mit zwei Frauen zu besetzen, die teilweise überlappend da sind und auch noch im Homeoffice arbeiten. Das war ein absolutes Novum hier im Unternehmen - und hat extrem geholfen, Mütter für Führungsjobs zu begeistern.

Zudem gebe ich bewusst unseren ambitioniertesten Mitarbeitern, insbesondere auch Frauen, die Verantwortung für Projekte: Hier können sie sich auszeichnen. Ich nutze das, um die Führungskompetenzen von Kandidaten zu testen, fachlich wie persönlich. Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die in vielen Bereichen sehr positiv aufgefallen ist. Ihr habe ich die Leitung für ein wesentliches Projekt übertragen. Da ist sie jetzt interdisziplinär unterwegs, kann sich beweisen und entsprechend gefördert werden.

Was sicherlich eine Herausforderung darstellt, ist die Frage: Wollen denn auch alle qualifizierten Frauen Karriere machen? Da fallen einige gute Kräfte aus dem System heraus. Ich habe gute Frauen bei uns erlebt, die sich in einen Halbtagsjob zurückgezogen haben und nicht zwingend auf Karriere pochen. Es ist nicht nur die Arbeitszeit, es ist auch die Verantwortung in einer Führungsposition. Man macht sich auch in der Freizeit viele Gedanken, muss Menschen führen - das ist zeitintensiv, diesen Schritt möchte nicht jeder gehen. Wenn ihnen dann immer wieder zwei oder drei Kandidatinnen rausspringen, dann fehlen auf einmal Frauen, obwohl sie diese gern weiter gefördert hätten.

Dass Männer aus dem System rausgehen und auf den nächsten Karriereschritt verzichten, um sich stärker für die Familie engagieren, habe ich in meinem Umfeld selten erlebt.

Helene Endres ist Redakteurin des Harvard Business Managers.

Dieser Text ist eine Kostprobe aus der Spezialausgabe des Harvard Business Managers "Strategie: Unternehmen führen in unruhigen Zeiten - eine Anleitung für Manager". Das gesamte Heft können Sie hier kaufen.