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Energiewende in der Krise Klimaretter Deutschland - Ende der Märchenstunde

Von Marc Oliver Bettzüge
Angela Merkel hat ihre Rolle als Klimakanzlerin auf dem jüngsten G7-Gipfel wieder mit Leben gefüllt. Aber dabei hat sie einen politischen Fehler gemacht: Sie hat ein überprüfbares Emissions-Ziel möglicherweise noch für die eigene Amtszeit gesetzt. (AP Photo/Maya Hitij)

Angela Merkel hat ihre Rolle als Klimakanzlerin auf dem jüngsten G7-Gipfel wieder mit Leben gefüllt. Aber dabei hat sie einen politischen Fehler gemacht: Sie hat ein überprüfbares Emissions-Ziel möglicherweise noch für die eigene Amtszeit gesetzt. (AP Photo/Maya Hitij)

Foto: Maya Hitij/ AP

Nach Einschätzung vieler Zeitungen hat der Naturschutzbund Deutschland über die Abschlusserklärung des G7-Gipfels in Elmau 'gejubelt'. Frau Merkel habe ihre Rolle als 'Klimakanzlerin' wieder angenommen, heißt es von dort. Und andere Umweltorganisationen stimmen in das Loblied ein. Gar vom Ende des fossilen Zeitalters ist in manchen Kommentaren die Rede, auch wenn das Abschlussdokument des Gipfels den Begriff 'vollständige Dekarbonisierung' bewusst vermeidet und konsequent von 'kohlenstoffarm' statt von 'kohlenstofffrei' spricht.

Wegmarke für die Absichtserklärung der G7 ist das Jahr 2050. Man möchte auf der Weltklimakonferenz in Paris ein für alle Parteien verbindliches Ergebnis erzielen, welches bis zur Mitte des Jahrhunderts die globalen Treibhausgasemissionen um 40 bis 70 Prozent gegenüber 2010 mindert. Über die Lösung der damit einhergehenden Verteilungsprobleme, schweigt sich das Papier - wenig überraschender Weise - aus. Ebenso über die zentrale Frage, wie die Verbindlichkeit eines möglichen Abkommens nach dessen Unterzeichnung durchgesetzt werden soll.

Mithin handelt es sich bei der in Klima-Deutschland überschwänglich gefeierten Erklärung der G7 im Wesentlichen um nicht mehr (aber naturgemäß auch nicht weniger) als eine Ankündigung, und das weitgehend noch nicht einmal in eigener Sache sondern im Namen der ganzen Welt.

Marc Oliver Bettzüge
Foto: Joachim Rieger

Marc Oliver Bettzüge ist Professor für Volks-wirtschaftslehre an der Universität zu Köln sowie Direktor des Energie-wirtschaftlichen Instituts (EWI). Er befasst sich insbesondere mit institutionellen und wirtschafts-wissenschaftlichen Grundsatzfragen der Energiewirtschaft und der Energiepolitik.

Politiker der kurzatmigen Mediendemokratien sind die eifrigsten Ankündiger

Nun ist es mit politischen Ankündigungen so eine Sache. Frau Merkel wird im Jahr 2050 ihren 96. Geburtstag feiern. Dann wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Amt sein, es werden also ihre Nachfolgerinnen oder Nachfolger aus der übernächsten Politikergeneration sein, die an diesen oder ähnlichen Ankündigungen gemessen werden und die resultierenden Verteilungskonflikte bewältigen müssen. So betrachtet ist 'Klimakanzlerin' eine wohlfeile Rolle, mit der sich heute die Sympathie vieler Wähler gewinnen lässt, und für die die Rechnung von später Verantwortlichen beglichen werden muss. Schon Tony Blair hatte diese simple politische Logik begriffen, genauso wie jetzt auch Francois Hollande oder Barack Obama. Und eben seit einiger Zeit auch Angela Merkel. Es ist wenig überraschend, dass es gerade die kurzatmigen westlichen Mediendemokratien sind, deren Politiker am eifrigsten ehrgeizigen Ankündigungen zum Klimaschutz das Wort reden.

Aus diesem Geist stammt auch das Energiekonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2010. Um mindestens 80 Prozent sollen die deutschen Emissionen bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 vermindert werden. Die aus dieser Vorgabe in der langen Frist resultierenden Verteilungskonflikte werden durch optimistische Vorgaben für die zugrundeliegenden Szenarien klein gerechnet. Denn etliche Annahmen müssen herangezogen worden sein, damit die deutsche Minderungsstrategie ohne größere innergesellschaftliche Konflikte und ohne Verlust deutscher Wirtschaftskraft funktionieren kann. Ob diese Annahmen gerechtfertigt sind, wird sich erweisen, ist aber für den heutigen politischen Diskurs völlig unerheblich. 2050 ist eben weit entfernt.

Doch die 'Klimakanzlerin' scheint ganz gegen ihre Natur einen politischen Fehler gemacht zu haben. Denn sie hat sich nicht nur für die ferne Zukunft weit jenseits ihrer Amtszeit festgelegt, sondern auch für die nahe. Denn gleichzeitig mit dem 2050-er Ziel hat sie Deutschland auch ein Ziel bis zum Jahr 2020 gesetzt: nämlich die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Je nachdem, wie die Wahlen 2017 ausgehen werden, wird man also bereits während ihrer Amtszeit erkennen können, was der Titel der 'Klimakanzlerin' wirklich wert gewesen ist.

Klimakanzlerin ist eine wohlfeile Rolle

Wegmarke für die Absichtserklärung der G7 ist das Jahr 2050. Man möchte auf der Weltklimakonferenz in Paris ein für alle Parteien verbindliches Ergebnis erzielen, welches bis zur Mitte des Jahrhunderts die globalen Treibhausgasemissionen um 40 bis 70 Prozent gegenüber 2010 mindert. Über die Lösung der damit einhergehenden Verteilungsprobleme, schweigt sich das Papier - wenig überraschender Weise - aus. Ebenso über die zentrale Frage, wie die Verbindlichkeit eines möglichen Abkommens nach dessen Unterzeichnung durchgesetzt werden soll. Mithin handelt es sich bei der in Klima-Deutschland überschwänglich gefeierten Erklärung der G7 im Wesentlichen um nicht mehr (aber naturgemäß auch nicht weniger) als eine Ankündigung, und das weitgehend noch nicht einmal in eigener Sache sondern im Namen der ganzen Welt.

Nun ist es mit politischen Ankündigungen so eine Sache. Frau Merkel wird im Jahr 2050 ihren 96. Geburtstag feiern. Dann wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Amt sein, es werden also ihre Nachfolgerinnen oder Nachfolger aus der übernächsten Politikergeneration sein, die an diesen oder ähnlichen Ankündigungen gemessen werden und die resultierenden Verteilungskonflikte bewältigen müssen. So betrachtet ist 'Klimakanzlerin' eine wohlfeile Rolle, mit der sich heute die Sympathie vieler Wähler gewinnen lässt, und für die die Rechnung von später Verantwortlichen beglichen werden muss. Schon Tony Blair hatte diese simple politische Logik begriffen, genauso wie jetzt auch Francois Hollande oder Barack Obama. Und eben seit einiger Zeit auch Angela Merkel. Es ist wenig überraschend, dass es gerade die kurzatmigen westlichen Mediendemokratien sind, deren Politiker am eifrigsten ehrgeizigen Ankündigungen zum Klimaschutz das Wort reden.

Viel Rhetorik - kaum Resultate

Aus diesem Geist stammt auch das Energiekonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2010. Um mindestens 80 Prozent sollen die deutschen Emissionen bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 vermindert werden. Die aus dieser Vorgabe in der langen Frist resultierenden Verteilungskonflikte werden durch optimistische Vorgaben für die zugrundeliegenden Szenarien klein gerechnet. Denn etliche Annahmen müssen herangezogen worden sein, damit die deutsche Minderungsstrategie ohne größere innergesellschaftliche Konflikte und ohne Verlust deutscher Wirtschaftskraft funktionieren kann. Ob diese Annahmen gerechtfertigt sind, wird sich erweisen, ist aber für den heutigen politischen Diskurs völlig unerheblich. 2050 ist eben weit entfernt.

Doch die 'Klimakanzlerin' scheint ganz gegen ihre Natur einen politischen Fehler gemacht zu haben. Denn sie hat sich nicht nur für die ferne Zukunft weit jenseits ihrer Amtszeit festgelegt, sondern auch für die nahe. Denn gleichzeitig mit dem 2050-er Ziel hat sie Deutschland auch ein Ziel bis zum Jahr 2020 gesetzt: nämlich die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Je nachdem, wie die Wahlen 2017 ausgehen werden, wird man also bereits während ihrer Amtszeit erkennen können, was der Titel der 'Klimakanzlerin' wirklich wert gewesen ist.

Niemand spricht vom Klimapräsidenten Obama

Betrachtet man die bisherigen Ergebnisse der Amtszeit von Frau Merkel, so ist man erstaunt. Viele Aktivitäten, hunderte von Milliarden Euro, welche in Wind-, Sonnen- und Biomasseanlagen investiert worden sind, viel Rhetorik zum Klimaschutz - aber kaum Resultate. Im Jahr 2005 ihres Amtsantritts wies die Bundesrepublik laut Umweltbundesamt Treibhausgas-Emissionen in Höhe von 994 Millionen Tonnen nach. Damit hatte Deutschland - vor allem wegen der Sondereffekte der deutschen Einheit - seine Emissionen bereits um fast 21 Prozent gegenüber 1990 gemindert. Im Jahr 2013 betrug der gleiche Wert 953 Millionen Tonnen (nach der noch vorzunehmenden Statistik-Korrektur wegen zweier übersehener Kohlekraftwerke wohl noch ein paar Tonnen mehr). Nach acht Jahren unter einer Regierung Merkel hatte Deutschland also eine Minderungsleistung also von rund 40 Millionen Tonnen aufzuweisen, oder gerade einmal vier Prozent.

Zum Vergleich: In der Amtszeit von Barack Obama sind laut der Environmental Protection Agency die Treibhausgasemissionen in den USA von 7.192 Millionen Tonnen (2008) auf 6.673 Millionen Tonnen (2013) zurückgegangen. Das ist mehr als das Zehnfache der absoluten Minderungsmenge in Deutschland, und mit mehr als sieben Prozent auch relativ betrachtet eine deutlich größere Reduktion (und das sogar in einem kürzeren Zeitraum). Doch niemand in Deutschland spricht vom 'Klima-Präsidenten' Obama. Letzteres ist ja auch durchaus richtig so, denn diese Minderung ist ja weniger sein Verdienst sondern eher die Leistung der amerikanischen Schiefergasindustrie, welche die US-Kohle aus der US-Stromerzeugung verdrängt hat.

Schriebe man die eher geringe bisherige Minderungsleistung der 'Klimakanzlerin' Merkel fort, so könnte Deutschland im Jahr 2020 bei rund 900 Millionen Tonnen landen, bei einem warmen Winter wie in 2014 bestenfalls vielleicht bei rund 850 Millionen Tonnen. Das wäre dann gegenüber 1990 eine Gesamtminderung zwischen 28 und 32 Prozent gegenüber dem Jahr 1990, also eine Zielverfehlung um rund 10 Prozentpunkte.

Die Fiktion eines schmerzlosen Kernenergieausstiegs

Was steckt dahinter? Nun, unter anderem der von Frau Merkel im Jahr 2011 wieder vorgezogene Ausstieg aus der Kernenergie. Produzierten die deutschen Kernkraftwerke im Jahr 2005 noch 163 Milliarden Kilowattstunden Strom, so waren es im Jahr 2013 durch die Abschaltung mehrerer Reaktoren nach dem Unglück von Fukushima nur noch 97 Milliarden Kilowattstunden. Bewertet mit dem aktuellen Emissionsfaktor des deutschen Strommix entspricht das - unter Vernachlässigung von Export-/Import-Effekten - einer Erhöhung der Treibhausgasemissionen in Deutschland um rund 60 Millionen Tonnen, oder 5 Prozentpunkten gegenüber 1990. Das ist schon einmal die halbe Lücke! Und die Abschaltung der nächsten drei Reaktoren bis 2020 steht nominell für weitere 25 Millionen Tonnen zusätzlicher CO2-Emissionen, wobei die größere Anzahl der Stilllegungen, nämlich sechs, erst in den Jahren 2021 und 2022, und damit - wohlweislich? - erst nach dem Zieljahr 2020 erfolgen soll.

Durch den Atomausstieg im Frühjahr 2011 ist also das kurzfristige deutsche Minderungsziel für 2020 effektiv verschärft worden - und zwar in erheblicher Weise. Nämlich um rund zehn Prozentpunkte, wenn man konsequenter Weise die in den Jahren 2021 und 2022 abzuschaltenden Kernkraftwerke hinzurechnet. Die deutsche Politik hätte also mit dem vorgezogenen Atomausstieg entweder das 40-Prozent-Ziel nach unten anpassen müssen - oder gleichzeitig eine ähnlich weit reichende Gegenmaßnahme beschließen. Beides ist unterblieben.

Vielleicht kann es Frau Merkel und ihrer Regierung gelingen, die Fiktion eines schmerzlosen, CO2-neutralen Kernenergieausstiegs noch bis zur nächsten Wahl im Jahr 2017 aufrecht zu erhalten. Aber spätestens in der kommenden Legislaturperiode wird - wenn kein Wetterwunder oder keine Wirtschaftskrise zu Hilfe kommt - die Bundesregierung vor einer für sie bitteren Alternative stehen: Aufgabe des 40 Prozentziels oder kurzfristig wirkende, drastische Maßnahmen zur Kompensation des Kernenergieausstiegs. Wenn dann die Wahl auf letztere fällt, darf man gespannt sein, wie die Politik mit den daraus resultierenden Verteilungskonflikten umgehen wird. Die aktuelle Debatte um die Rolle der deutschen Braunkohle gibt uns einen ersten Vorgeschmack darauf.

Marc Oliver Bettzüge ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln sowie Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI). Er ist Mitglied der Meinungsmacher von manager-magazin.de

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